Paranoia allüberall

Was ist denn bloß mit meinen Lieblingsautoren los? Warum werden ihre Hauptfiguren immmer gestörter? Kann man mit gesunden Menschen keine interessanten Geschichten mehr erzählen? Geht einem als Autor irgendwann der Stoff aus? Fragen über Fragen, die sich mir in letzter Zeit regelmäßig stellen. Vielleicht wird es Zeit, neue Autoren zu entdecken. Aber über diesen Boyle will ich doch noch schreiben.

Frühere Boyle-Romane wimmelten immer von Figuren und die meisten wurden liebevoll charakterisiert. Nun habe ich nicht alle neueren Romane von ihm gelesen, habe aber doch das Gefühl, dass die Anzahl der Figuren stark abgenommen hat. The harder they come (auf deutsch: Hart auf Hart) kommt mit drei Hauptfiguren aus: Sten, ein Vietnam-Veteran, Adam, sein schizophrener Sohn, und die Hufschmiedin Sara. Um diese drei rankt Boyle einen Plot auf Basis von deren Ängsten.

 

Sten fürchtet sich vor der Überfremdung, vor allem durch Mexikaner, genauer: vor den Drogenkartellen, die in der angrenzenden Wildnis Plantagen anlegen und die Ernte wenn nötig mit Waffengewalt verteidigen. Ironischerweise hat sein geistig kranker Sohn Adam dort eine ebensolche Plantage für den Eigengebrauch angelegt. Und dann hätten wir noch Sara, die verschiedenen Verschwörungstheorien anhängt und hundertprozentige Systemgegnerin ist. Sie lernt Adam kennen, als sie ihn als Anhalter und kurz darauf in ihr Bett mitnimmt. In ihrer Verweigerungshaltung gegenüber allem, was staatlich ist, verstehen sie sich.

 

Ihre Ängste bestimmen ihr Handeln. Bei einem Überfall im Urlaub in Costa Rica tötet Sten einen der Angreifer, weil er den Würgegriff nicht rechtzeitig lockert. Zwar wird er von der geretteten Reisegesellschaft als Held gefeiert und auch vom costaricanischen Rechtssystem nicht gestraft, doch er weiß selbst, dass er früher hätte loslassen sollen und können. Wieder zuhause lässt er sich von einem Bekannten dazu anstiften, potentielle Drogendealer selbst zur Strecke bringen zu wollen.

 

Saras Alltag ist von ihrer Paranoia stark eingeschränkt, glaubt sie doch in jeder staatlichen Handlung ein System der Willkür und Unterdrückung zu erkennen, selbst wenn es nur um eine Verkehrskontrolle geht. Sie verhält sich entsprechend und so schaukeln sich Gespräche mit Staatsgewalten regelmäßig auf. Noch extremer bestimmen Adams Wahnvorstellung sein Leben. In extremen Phasen verschwimmen für ihn die Grenzen zwischen seinem Idol, dem Trapper Colter, und sich selbst. Er hat die zwischenmenschliche Kommunikation bereits auf ein Minimum reduziert, weil er davon überzeugt ist, dass niemand ihn versteht. Eine Kumulation des Irrsinns der Hauptfiguren wie auch einiger Nebenfiguren führt dazu, dass die Tragödie ihren Lauf nimmt.

 

Eine wilde Geschichte mit verschiedenen abstrusen Handlungssträngen, die erst zur Ruhe kommt, nachdem die gesellschaftlich erwartete Ordnung wiederhergestellt scheint. Was will uns nun der Autor damit sagen? Das spielt eine untergeordnete Rolle, da die Geschichte auf einer wahren Begebenheit basiert ist. Und doch bleibt die Frage, wieso in diesem Roman so viele kaputte Menschen aufeinandertreffen und die als normal perzipierten nicht in der Lage sind, ohne Gewalt ein Gleichgewicht herzustellen.